Abchasen, Osseten, Adscharen

 

Die alte Krankheit des Nationalismus kennzeichnet auch die nationalen Regungen im Osten: Was man für das eigene Volk verlangt, spricht man den Minderheiten ab. Das schafft den kleinen Völkern des Kaukasus Probleme.

 

Durch Jahrtausende erzählten sich die Osseten die Sagen über das Heldengeschlecht der "Narten", der „Söhne der Sonne". Über ihren Taten, die sie alle Feinde besiegen ließen, blieb nur noch der „Gott aller Götter" übrig, den es herauszufordern galt. Da veränderten sie die Türen zu ihren Häusern, damit sie nicht mehr die Köpfe zu senken brauchten, wenn sie hindurchgingen: damit Gott nicht glauben sollte, daß sie sich etwa vor ihm verneig- ten. Natürlich ging die Sache letzten Endes schlecht aus. Aber der Untergang war ein heroischer.

 

Wer mit solchen Mythen groß wird, tut sich schwer, sich anderen zu beugen. Auch wenn der andere übermächtig ist; und Nationalisten bekannterweise am wenigsten bereit sind, anderen dasselbe Recht zuzugestehen, das sie mit aller Vehemenz einfordern. Die Georgier, die sich 1991 mit überwältigender Mehrheit zur Unabhängigkeit ihrer Republik bekannt haben, waren nicht bereit, auch nur auf einen Zipfel ihres Staatsgebiets zu verzichten, wenn dort andere auf ihr Selbstbestimmungsrecht pochten. Den Osseten nördlich und südlich des Kaukasus- Kammes wurde der Wunsch nach Vereinigung abgesprochen, und glühende Nationalisten, die eben noch für ihr Volk möglichst alle Gebiete, in denen dessen Sprache gesprochen wird, unter ein Dach bringen wollten, wurden dann zu Verfechtern historischer Staatsgrenzen. Und so wütete, kaum registriert von der Welt, in den Bergen des Kaukasus ein blutiger Bürgerkrieg.

 

Der allenthalben hervorbrechende Nationalismus hatte auch in den Osseten den Wunsch nach „Wiedervereinigung"   wach werden lassen. Die Durchorganisierung des Sowjetstaates nach dem Nationalitätenprinzip hatte den Osseten zwei staatliche Gebilde beschert: am Nordhang des Kaukasus die Autonome Republik Nordossetien, in der mehr als 5/6 des kleinen Bergvolks, das heute etwa eine halbe Million Sprecher zählt, leben - eine der zahlreichen „Autonomen Sozialistischen Sowjetrepubliken", die Teile der Russischen Föderation bilden.

 

Gegenüber den Osseten südlich des Gebirgskamms war der Georgier Stalin weniger großzügig: Sie erhielten nur ein „Autonomes Gebiet" im Rahmen der Unionsrepublik Georgien und stellen in diesem 2/3 der Bevölkerung.

 

Die Osseten sind, sprachlich gesehen, Einzelgänger in dem ethnisch so bunten Völkergewirr Kaukasiens. Denn ihre Sprache ist eine indogermanische, und sie selbst nannten sich „Iron"; die Bezeichnung Osseten kam von den georgischen Nachbarn und wurde von den Russen übernommen.

 

Die Historiker und Sprachwissenschaftler haben lange an der Herkunft der Osseten herumgerätselt. Heute ist gesichert, daß sie interessante Vorfahren haben: Sie gelten als die direkten Abkömmlinge der Alanen und - über diese - als die Nachfahren der Skythen, die seit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaukasus bevölkerten. Die Alanen wurden in der Völkerwanderungszeit zum Teil von den Hunnen unterworfen, und ihre Reiterscharen zogen später mit den Wandalen nach Afrika; von jenem anderen Teil des Volkes, der nach Süden abgedrängt worden ist, stammen die Osseten ab.

 

In ein Rückzugsgebiet geschoben, wahrten die Osseten lange ihren heidnischen Glauben. Sowohl die Christianisierung im 10. Jahrhundert als auch die Annahme des Islam wie auch wieder die Rückkehr des größeren Teiles des Volkes zum Christentum blieben an der Oberfläche, wie schon der rasche Wechsel von der einen zur anderen Religion andeutet, der eher eine Anpassung an jeweils übermächtige Herrschaftsverhältnisse war. Die Ankunft der Russen, die 1774 Wladikawkas als Festung gründeten, war ihnen eher Schutz als Last. Denn der Zar war weit, aber die Nachbarn, die sie bedrängten, Tscherkessen und Georgier, waren nahe.

 

Wladikawkas, das bis vor kurzem nach einem bolschewistischen Heerführer Ordschonikidse hieß, wurde die Hauptstadt von Nordossetien. Zum Unterschied von den Osseten, die im Rahmen Georgiens nur den Status eines Autonomen Gebiets erhielten (und heute die Autonome Republik verlangen), gibt es an der Küste im Norden Georgiens die Republik der Abchasen, im Süden die der Adscharen. Letztere sind von der Sprache her Georgier, und sie unterscheiden sich von der Hauptmasse des Volkes nur dadurch, daß sie Moslems geworden sind. Möglicherweise wurde diese Republik seinerzeit nur gegründet, um als Einladung an die georgischen Lasen in der benachbarten Türkei verstanden zu werden: unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hat Stalin Anspruch auf Lasistan erhoben, wurde aber vom Westen rasch eingebremst.

 

Anders verhält es sich mit Abchasien. Diese Republik wurde gegründet, ohne daß auf die Bevölkerungsverhält- nisse Rücksicht genommen wurde, denn die Abchasen, nahe Verwandte der Tscherkessen (die mit ihnen zusammen den nordwestlichen Zweig der von allen anderen großen Sprachfamilien isolierten kaukasischen Sprachen bilden), waren schon bei der Schaffung der Abchasischen Republik gegenüber den auf ihrem Gebiet lebenden Georgiern eine Minderheit. Hier wurde offenbar versucht, ein historisches Unrecht gutzumachen, das freilich von den Russen und nicht von den Georgiern begangen worden war.

 

Das Herrschaftsgebiet der Abchasen war im frühen Mittelalter wesentlich größer als die heutige Republik. Um 550 christlich geworden, war Abassia ein Staat, der den ganzen Nordwesten des heutigen Georgien einnahm und sich auch nördlich der Kaukasuskette ausdehnte.

 

Im 15. Jahrhundert gerieten die Abchasen unter türkische Herrschaft und wurden zum Islam bekehrt.¹ Zum Unterschied von den Osseten aber nahmen die Abchasen, ebenso wie die Tscherkessen nördlich von ihnen (heute in den autonomen, zu Rußland gehörenden Gebieten der Adyge, der Karatschaier sowie der Kabardiner Republik) den neuen Glauben ernst und wollten ihn auch nach der allmählichen Eroberung des Landes durch die Zaren beibehalten. Die Angliederung an Rußland begann mit dem Frieden von Adrianopel (1829).

 

Die Abchasen wehrten sich in blutigen Kämpfen gegen die Kolonisatoren, zumal es die Zaren darauf angelegt hatten, den Islam im Kaukasus zu unterdrücken, weil er ihnen eine ständige Gefahr der Kollaboration mit der Türkei schien. Nach Niederwerfung der Aufstände zogen es viele Abchasen und Tscherkessen vor, aus ihrer Heimat auszuwandern. Zum Teil haben sie ihre Nationalität im heutigen Syrien bewahren können.²

 

Der alte Freiheitsdrang der Abchasen erwachte nach der Selbständigkeitserklärung Georgiens neu. Unter dem autoritären Gamsachurdia gewaltsam unterdrückt, sahen die Abchasen in dessen Sturz eine Chance und riefen die Souveränität ihrer Republik aus. Die Entführung eines georgischen Ministers durch Gamsachurdia-Anhänger gab dem neuen Präsidenten Schewardnadse im Sommer 1992 die Chance, gegen die Abchasen vorzugehen. Es kam zu heftigen Kämpfen, in denen die Abchasen von nordkaukasischen Freischaren unterstützt wurden.

¹ Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Abchasien beläuft sich ca.30%. Als die Abchasen ihr Land verlassen mussten, gingen auch sehr viele christliche Abchasen (die Russen wollten gerne dass die christlichen Abchasen bleiben)  in die Diaspora.

² Der grösste Teil der abchasischen Diaspora lebt heute in der Türkei. Es sind ca. 250,000 Leute. Darüber hinaus leben Abchasen in Syrien, Jordanien, Egypten und ca 10,000 Leute in Europa (hauptsächlich Deutschland, ca.5000, Niederlande, ca.1500, Frankreich, Schweiz, Österreich, Dänemark, Schweden usw.)